... ( memoria
diplom architektur_oktober 2004_februar 2005
mnemosyne_räume/räume der erinnerung


>die unterlagen


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Welchen Beitrag leistet Architektur zur kollektiven Aufarbeitung der Vergangenheit? Mit welchen architektonischen und städtebaulichen Mitteln können "Tatorte" der Geschichte zu Orten des kritischen Gedenkens neu bestimmt werden? Inwiefern und mit welchen Gestaltungskonzepten kann Architektur zum Bedeutungsträger der Erinnerung werden, der gleichzeitig in die Zukunft weist?

Diesen fragen soll mit diesem Diplom nachgegangen werden. Neben der Aufarbeitung von ausgewählten Texten zur Themenstellung stehen im Mittelpunkt der Untersuchungen innovative architektonische und städtebauliche Lösungen
Siehe zum Einen die Wettbewerbsprojekte zu "Ground Zero" in New York an der Stelle des zerstörten World Trade Centers.

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Städte sind Container kollektiver Erinnerung. Städtische Räume erinnern an individuelle Erlebnisse und dienen der Gesellschaft als Kulisse zur kollektiven Erinnerung. Oft spielt Architektur dabei eine grosse Rolle. Sie wird als Medium der Erinnerung geplant und gestaltet oder definiert die Schauplätze räumlich, an denen erinnert wird. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Transformation übernimmt Architektur in diesem Sinne eine wichtige gesellschaftliche Funktion. An Debatten um Architektur werden gesellschaftliche Auseinandersetzungen um die Interpretation von Geschichte ausgefochten.

In gebauter Architektur finden Interpretationen der Geschichte ihre räumliche Manifestation.
Mit Architektur wird Geschichte auch neu interpretiert - bisweilen gegen die vorherrschende Interpretation der Geschichte.
Wenn Architektur in diesem Sinne eine bedeutende gesellschaftliche Funktion übernimmt, muss gefragt werden, wer mit welcher Legitimation welche Geschichte an welchem Ort erinnern darf.

Wie ist das Verhältnis von Architektur und Städtebau in ihrer ästhetischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Funktion zu bestimmen? Mit einem Blick auf die Debatten um die Neugestaltung Berlins als Hauptstadt und seiner Orte der Erinnerung sowie auf die jüngsten Diskussionen um den
Wiederaufbau des World Trade Centers in New York werden wir im Diplom diesen Fragen nachgehen.

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„Sie meinen den geborstenen Davidstern? Den zuckenden Blitz? Das sind doch alles Symbole, die gar nicht existieren. Die haben sich manche Leute zurechtgelegt, weil sie die Offenheit und Zeichenlosigkeit meiner Architektur nicht ertragen. Doch das Gebäude wehrt sich gegen solche vorschnellen Zuschreibungen und monodimensionalen Interpretationen. Es geht diesem Museum ja auch nicht um Entnazifizierung, um grob gerasterte Lehren. Es geht nicht um eine Pflichtveranstaltung, um Wissen, das man den Leuten eintrichtern müsste. Vielmehr soll hier die Möglichkeit eröffnet werden, tiefer in die Geschichte einzutauchen. Es gibt keine vorformulierten Metaphern, dafür aber viele Angebote zur Aneignung und Anteilnahme. Natürlich kann man Erinnerung nicht ein- und ausknipsen wie einen Fernseher, aber vielleicht gelingt es der Architektur dennoch, wie ein Katalysator zu wirken, der das Erinnern verstärkt und es in viele Richtungen gleichzeitig lenkt. Das zumindest wäre mein Wunsch: dass die Leute dieses Museum mit einer Erfahrung verlassen, die ihnen etwas bedeutet. Dass sie nicht unbeteiligt bleiben.“
Daniel Libeskind, Architekt

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Die Frage, wie sich Zeitgeschichte in Architektur widerspiegeln kann, steht im Mittelpunkt
Während in Berlin zunehmend Versuche unternommen werden, die Geschichte der Stadt in der zeitgenössischen Architektur zu visualisieren – Beispiele sind Holocaust-Mahnmal und Jüdisches Museum - herrscht in Beirut die Tendenz, die jüngere Vergangenheit, also den Bürgerkrieg, aus dem Stadtbild auszublenden. Bernard Khoury bezeichnet die Stadt als "hyper-zeitgenössische Version der kapitalistischen Stadt im Zustand der Anarchie, ein fantastisches aber auch erschreckendes Produkt westlicher Einflüsse, das außer Kontrolle geraten ist." Der Architekt wendet sich gegen diese Geschichtslosigkeit in der Architektur und versucht die jüngste Geschichte des Libanon in zeitgemäße Clubarchitektur zu transformieren. Prominente Beispiele sind der Nachtclub B 018, auf dem Gelände eines ehemaligen Lagers palästinensischer Hafenarbeiter, sowie die Restaurants Centrale und Yabani, errichtet auf der Demarkationslinie zwischen den verfeindeten Bürgerkriegsparteien.

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Wenn Erinnerung an vergangene Ereignisse sich materialisiert, sich in Formen des Schreibens, Zeichnens, Fotografierens und in Ergebnissen des Forschens niederschlägt, bedarf es des Schutzes eines Ortes.
Damit würde das endgültige Verschwinden von Gedächtnis zur Diskussion gestellt, die Wirkung der
unsichtbaren Bilder auf die Gesellschaft. Sie können bedingt zurückkehren, diese nach innen gerichteten Bilder.
Der Rücken der Erinnerung ist die Historie. Erinnerung allein ist noch keine erforschende Rekonstruktion der Vergangenheit, erst in der Gegenüberstellung beider, Erinnerung und Geschichte, entsteht ein Bild, ein Beitrag zum Ganzen.

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Die Griechen sind die Erfinder einer Gedächtniskunst, die wie ihre anderen Künste an Rom weitergereicht wurde, von wo aus sie dann ihren Weg durch die europäische Geistesgeschichte nahm. In dieser Kunst soll mit Hilfe einer Technik, bei der dem Gedächtnis "Orte" und "Bilder" eingeprägt werden, memoriert werden. (Yates, Art of Memory)
Die Ars Memoria oder Mnemotechnik ist der Ausgangspunkt des Diplomes, das sich mit einem Bereich befaßt, das (etwa) durch das 2001 neuerschienene Lexikon Gedächtnis und Erinnerung markiert wird.
Die Forschungen zur 'Ars Memoriae' haben das komplizierte Nachleben der antiken memoria und diese als eine auch nachantike kulturelle Formationen prägende Konzeption nachweisen können. Dies trifft vor allem für die Renaissance (Italiens und Shakespeares England) zu, in der nicht nur das Wissen nach dem Muster des rhetorischen Gedächtnisraumes zu ordnen, sondern auch zu denken versucht wurde (Camillo, Lullus, Fludd). "Beginning as a rhetorical device, it came to be practised, in the Middle Ages, as a kind of visual analogue to thought. It was associated both with the production and the storage of images, and with the location of memory places - as, say burial grounds and shrines." (Samuel) Die Metaphoriken der Gedächtnisarchitekturen wucherten und verselbständigten sich als Paläste, Schatzhäuser und Theater des Gedächtnisses. "Als spezielle techné und als ungemein traditionsbildende Disziplin, die eine eigenmächtige Potenz des Speicherns herausgebildet hat, wird die Gedächtniskunst zum Kernstück kultureller Arbeit." (Lachmann)
Auf diesem rhetorischen Hintergrund ist die Aktualität der Memoria durch ihre Konfrontation zur "romantischen Erinnerung mit ihren Konnotationen von Authentizität und Totalität" gegeben, die die nachromantische Moderne (so Warning) "destruiere", indem sie "dagegen eine Gedächtnispoetik entwickelt, welche die antiken Vorstellungen von Magazin und Speicher in spezischer Weise reaktiviert." Texte der Moderne schreiben ein Gegenkonzept zur Er-innerung-, führen deren Destruktion durch die rhetorische Äußerlichkeit der memoria aus, die durch deren analoge und digitale Medien in neuer Weise thematisiert wird. Wichtige moderne Konzepte des Erinnerns lassen sich als Aufnahmen und Umschriften des mnemotechnischen Konzepts gleichermaßen lesen, insofern sie räumliche Wissensordnungen, bzw. Schrift als eine Räumlichkeit zweiter Ordnung konzipieren; zu nennen wären etwa Freud, Benjamin und Warburg. Die Umschrift an der traditionellen Memoria vor allem die von der Kunst des Memorierens vorausgesetzte Linearität des Wieder-Erinnerns. Das Erinnern wird diskontinuierlich, wird einer Ökonomie von Erinnern und Vergessen ausgesetzt.
Im Rückgang auf die rhetorische memoria ist die Frage der Referentialität der Zeichen (nach der Kritik repräsentationslogischer Modelle) neu zu stellen; das Gedächtnis der Toten scheint der dafür sich aufdrängende topos zu sein. Schon der Gründungsmythos der Mnemotechnik selbst, wie ihn die Rhetoriken der Antike überliefern, erzählte die Geburt der Mnemotechnik aus der tödlichen Katastrophe (Gold-mann, Lachmann).
Das Feld zwischen Gedächtnis und Erinnerung ist abgesteckt durch: Mnemotechnik, Mnemos‡ne (die Mutter der Musen), Topik(en), kulturelles Gedächtnis, mémoire involontaire, Mnemopathen und Vergessen. Für mögliche Themen seien die folgenden Stichworte genannt: Renaissance, Ritual/-us, Gedächtnisorte, Wiederholung, Zitat, Archäologie, Quellen, Archiv, Bibliothek, Museum, Sammeln/-lung, Krypta, Denkmal, Monument, Ruine, Wunderblock, Palimpsest, Trauer, Melancholie, Autobiographie u.a..